Bene wollte unbedingt hin, also auf’s Festival. Er meinte, zu saufen, mal einen zu rauchen und eventuell eine Frau flachlegen, das würde mich ablenken. Das sagt sich so leicht, mal eine flachlegen, aber das ging nicht mehr so leicht wie mit Anfang zwanzig. Die Zeiten waren vorbei, in denen ich nur bei der Andeutung von nackter weiblicher Haut so angespitzt war, um zehn Stunden durchzuvögeln. Vor allem hatte ich mich in meiner fünfjährigen Beziehung in einem Maße an Sarah gewöhnt, dass alle anderen Frauen ein wenig wie Außerirdische anmuteten. Die fünfjährige Beziehung namens Sarah und ist jetzt meine Ex, seit nunmehr zwei Tagen. Deshalb sprach Bene von Ablenkung, auch wenn oder gerade weil ich nicht bzw. kaum geschlafen hatte; fünf Jahre mit einem Moment einfach aus, weg, ausgelöscht!

Ich wäre, seit man mir gekündigt hätte, nicht mehr derselbe, ich sei nur noch gereizt, hatte Sarah gesagt.

Bene fragte, ob sie denn Recht hätte. „Naja,“ druckste ich rum, „angeschrien habe ich sie ein- oder zweimal, aber es hat mir sofort leid getan und ich habe mich sofort entschuldigt.“

Außerdem würde ich überall nur noch das Böse sehen, meinte sie, in allen Menschen. Sie würde mein Selbstmitleid nicht mehr aushalten und deshalb müsse sie eine Pause machen.

Was bei Frauen „Pause machen“ heißt, kennt man ja.

Aber apropos Selbstmitleid: binnen eines Monats den Job und die Freundin verlieren, da soll man nicht selbstmitleidig werden.

Bene setzte sich durch und hier sind wir nun auf dem Campingplatz, im dritten Jahr hintereinander, aber das erste Mal ohne Sarah. Aber Sarah würde wahrscheinlich auch da sein, zumindest bestand sie darauf, ihre Karte zu behalten und wollte auch hin. Die Wahrscheinlichkeit, sich bei 35000 Leuten zu begegnen, sei ja relativ gering, „außerdem sind wir ja beide erwachsen und können mit so was umgehen“, schickte sie mir per SMS. Ich weiß genau, in welchem Tonfall sie so einen scheiß-neunmalklugen Satz gesagt hätte, wenn sie ihn gesagt hätte. Und sie hätte übertrieben mit den Wimpern geklimpert, um dem ganzen einen ironischen Anstrich zu verleihen. Mit einem Mal machten mich diese Dinge, die ich immer so süß und lustig fand, einfach nur wütend.

 

Noch wütender machte mich, als ich mir überlegte, dass Sarah höchstwahrscheinlich mit ihrer Clique da sein könnte. Da stolzierte immer dieser Marc mit, ein windiger Kerl mit perfektem Körper und perfekten Tätowierungen. Sie hat mir immer versichert, dass dieser Typ, der immer schon auf sie scharf war, ihr zu hohl wäre, „hirnfrei“, hieß das bei ihr.

In einem blöden Moment hatte sie einst zugegeben, dass sie den Kerl optisch schon geil findet- „aber nur vom fleischlichen Aspekt und ich bin zu erwachsen, das ist mir zu wenig, Schatz“, ergänzte sie. Aber einmal im Streit, als wir die ganz harten Geschütze aufgefahren hatten, hatte sie zugegeben, dass sie sich gern von Marc mal flachlegen lassen würde, so ein Sixpack hätte schon was, wenn man zu Hause immer nur die Plauze am eigenen Mann vor sich hätte.

Das war vor ungefähr zwei Jahren, ich verließ darauf die Wohnung, rief Bene an und quartierte mich fünf Nächte bei ihm auf der Couch ein und das Thema war forthin kein Thema mehr.

Aber erklär das mal einem Mann, der einige Stunden vorher verletzt wurde und vielleicht eine halbe Stunde geschlafen hatte. Erklär ihm, dass Sarah nicht gleich mit einem anderen Mann poppen würde, dass Frauen anders ticken, nicht sexuell übersteuert wie Männer.

Es fing gegen vier Uhr nachts an, dass mir der Drecks-Marc nicht mehr aus dem Kopf ging. Um neun Uhr hatte ich Arno angerufen, dessen Vater bei der Kripo und praktischerweise im Urlaub war und um halb elf hatte ich die Knarre. Ich musste Arno hoch und heilig versprechen, dass ich die Munition nicht benütze, weil irgendwas von wegen „dienstlich und abgezählt“. Ich hatte keine Nerven, diesem Gewäsch zuzuhören. Ich verstand nicht, dass mir der Depp die Munition überhaupt da ließ, aber er tat es, zu meinem Glück.

„Was willst’n Du damit?“ fragte er. „Ach, nur die Jungs ein wenig erschrecken“, sagte ich lapidar. Die Auskunft reichte ihm. Arno war mir immer sehr gewogen, böse Zungen würden „hörig“ sagen. Er war schwerer Kiffer aus gutbürgerlichem Haus. Und ich hatte Gras, ich war der Einzige, den er kannte, der immer Gras hat, das erklärt alles. Also schenkte ich ihm fünf Gramm (das war es mir wert), und beim Gedanken an einen rosig-vernebelten Tag bei sturmfreier Bude musste ich ihn auch nicht lange bitten, zu gehen.

 

Dann war es zwölf und Bene holte mich ab. „Boah, siehst Du Scheiße aus“, sagte er, und ich erzählte ihm alles, alles bis auf die Waffe. Wir hatten nur hundertfünfzig Kilometer bis zum Festival. Die Waffe war gesichert und tief im Schlafsack versteckt. Auf das Campinggelände würde ich somit leicht kommen, das Konzertgelände wäre schon eine Nummer schwerer. Doch all diese Gedanken sollten mich nur ganz schwach beschäftigen, denn in meinem Kopf gab es nur diesen Schwachkopf Marc, der Sarah fickt.

 

Wir reisten einen Tag vorher an, man braucht Zeit, um alles aufzubauen. Bene wäre Mitteleuropas renomiertester Festivalexperte, wenn es denn sowas gäbe: ein riesiges Zelt, ein Pavillon und sogar eine mittelgroße Kühltruhe mit ausreichend Kühlelementen mussten plaziert werden. Ich liebe diesen Kerl. Mit uns am Start waren noch zwei Kumpels von ihm, die für mich ein emotionales Neutrum darstellten. Hermann und Claudius, allein schon die Namen. Und dann waren das noch Typen der Kategorie Fußball, Musik und Bier und die Welt ist in Ordnung.

Aber zwei der drei Mädels hatten es in sich. Ich war anscheinend interessant, weil ich in-mich-gekehrt war. In der ersten Nacht, als Herrmann wieder irgendwo saufen und kickern war, wollte es seine Freundin wissen. Wie der überhaupt so ein Geschoß abbekommen hat, keine Ahnung. Ich hab sie zumindest nach allen Regeln der Kunst vernascht, schnell, aber intensiv.

Nennt mich einen schlechten Menschen, aber als sie schließlich neben Herrmann in den Schlafsack kroch, musste ich schmunzeln bei dem Gedanken, dass mein Geruch nicht das einzige war, was sie noch an- besser gesagt- in sich hatte.

 

Bene drängte am nächsten Tag, ich solle mal in die Puschen kommen, auf’s Festivalgelände. Aber mir war es übel; eher seelisch als körperlich. „Postalkoholische Depression“ nennt der Mediziner sowas, glaub ich. Die drei Joints des Vortags taten ihr übriges.

Mir wurde ein Konterbier verordnet, danach war mir aber noch schlechter, jetzt auch körperlich. Ich ging duschen, eiskalt. Schon besser. Danach machte ich mich auf.

Wenn man so ein Festival kennt und die Security-Leute, weiß man, wie genau die Kontrollen sind: ich habe da schon so Einiges gesehen an Dingen, die eigentlich verboten waren: Feuerwerkskörper, Glasflaschen und ein Typ hat auch schon mal sein Springmesser triumphierend vorgezeigt, das er durch die Kontrollen gebracht hatte. Man könnte Angst bekommen; aber nicht heute, denn heute war ich der mit der Wumme. Meine Hose hatte vier Taschen, auch Beintaschen, da landeten Zigaretten und das Handy drin. In meine eine große Hosentasche stopfte ich eine zusammengerollte Kappe über die Pistole und ein Ersatz-T-Shirt, das ich heraushängen ließ.

Als ich durch diese Bahn ging, an deren Ende der Security-Mensch stand, erhöhte sich mein Puls kurz, ich wurde schlagartig nüchtern, und erfinderisch.

Also setzte ich noch einen drauf, ich fing an, mich leicht schwul zu benehmen. Denn mit so etwas kann so ein Macho-Stiernacken nicht umgehen, einem Typen, der noch Lustgewinn dabei empfindet, wenn er abgetastet wird. Man kann es erahnen, die Kontrolle war sehr oberflächlich.

 

Ich war drinnen. Und entgegen meiner eigenen Befürchtungen hielt ich nicht wie ein Getriebener Ausschau nach Sarah und auch nicht nach Marc.

Ich war frei, rauchte die eine oder andere Tüte und trank Bier. Ich schaute mir einige Bands an. Und ich hatte die Kanone. Ich war frei!

Sarah war nirgendwo.

Es war schon lange dunkel, als die Band anfing, wegen derer sich die Leute überschlugen. Ich schloss mich natürlich den Pilgerströmen in Richtung der Bühne an, von der aus wir gleich mal hübsch angeheizt würden.

 

So kam es auch. Die Band fing an zu spielen und weiter vorn brach die Hölle los, wohlweislich blieb ich weiter hinten stehen. Ich wäre bei anderen Vorzeichen wohl auch vorne in den Pit gegangen. Das Gefühl, wenn der verschwitzte und geschundene Mann sich wieder nach hinten zu seiner Frau kämpft, um sich einen Kuss und seinen Bierbecher abzuholen, hat etwas sehr urzeitlich Männliches. Nur heute war da keine Frau, zumindest nicht für mich; und ich fühlte mich alt, obwohl ich wieder erstaunlich nüchtern war. Bene allerdings war im Getümmel verschwunden. Ich genoß still dieses Zusammenspiel von Band und Meute, und kurzzeitig ging mir das Herz auf.

Vor mir stand ein Pärchen. Sie sah aus wie Sarah, hellblond, die gleichen Lippen, voll, aber nicht zu prall. Nur jünger, nicht so verlebt, fast wie Sarah einst, als wir uns kennen gelernt hatten, Sarah und ich. Ich wollte sie haben, das Mädchen. Der Typ neben ihr war ein Milchbubi, der immer wieder den Saft aus seinem festivalkonformen Tetrapak süffelte. So weit, so gut, soll er sie ruhig umarmen, dachte ich und fühlte mich souverän.

Das nächste Lied begann und die Menge hüpfte. Da fingen die beiden an, sich die Zunge in den Hals zu stecken, als gäbe es nichts um sie herum. Ich fand das unpassend, es war verdammt noch mal kein Liebeslied; und dann noch dieser Milchbubi und die Sarah-Kopie. Wie pietätlos ist das denn? Ich hasse diese Öffentlichkeitsknutscher ohnehin wie die Pest, die müssen immer allen ihr Glück auf’s Auge drücken, aber doch bitte nicht eine Sarah2 am heutigen Abend.

Ich hüpfte mit der Masse, rempelte sie an, ein Warnschuss vor den Bug quasi, um ihnen aufzuzeigen, wie unpassend das war. Als Konsequenz nahm der Kerl sein Blondie beschützermäßig in den Arm. Kurz darauf ging das Geknutsche wieder los.

Da fing ich an, innerlich zu brodeln.

Es war eine einzige Bewegung und ich hatte die Knarre in der Hand. Das Magazin war voll, ich lud durch, der Bolzen rastete mit einem kräftigen Klacken ein und ich legte den Sicherungshebel um.

Ich hielt Blondie das kalte Metall an die Schläfe.

„Wenn ihr gerade so heiß aufeinander seid, willst Du doch bestimmt auch seinen Stengel lutschen“, rief ich ihr mit bestimmter Stimme zu. Ich sah fassungslose Angst in ihren Blicken, guuuut! Sehr guuut!

„Na dann mal auf die Knie, Püppie!“ Meine Sätze und mein Handeln hatten sich in meinem Kopf verselbständigt.

„Und Du, mach die Hose auf!“ Sie kniete sich hin. In Panik fingerten beide an seinem Gürtel und seinem Reißverschluss herum. Ihre Hände zitterten wie Espenlaub. Sein nicht sehr majestetisch aussehender Schwanz kam zum Vorschein, natürlich wurde da nix hart. Mir ging es immer besser.

„Siehst Du es, da regt sich nichts, er scheint Dich nicht zu lieben“, höhnte ich. Ich hatte Gefallen an der Situation, vor allem, weil mein Schwanz stand.

Jetzt könnte ich alles machen, es gab keine Gesetze mehr, das eigentliche Geschehen auf der Bühne war weit weg, für mich blieb die Zeit stehen und es wurde still. Noch machte ich meine Knöpfe nicht auf, obwohl meine Hose schon lang zu eng war. Aber das Schauspiel turnte mich an. Ihre armseligen Versuche- oder besser gesagt- seine armselige Erscheinung erzeugte in mir eine fast unheimliche Genugtuung.

 

Bald würde ich sie mit ihrem Mund an meinen Schaft zitieren. Aber ich hatte Zeit. Ich sah kurz zur Seite und sah den entsetzten Blick Benes, der mich anscheinend inzwischen wieder gesucht und gefunden hatte. In dem Moment ließ mich das kalt. Meine Pistole war immer noch an ihrer Schläfe und sie versuchte mit ihren zittrigen Händen, bei ihm etwas zu bewegen. Das sah so lustig aus.

Mit meiner anderen Hand öffnete ich meinen Gürtel, machte den obersten Knopf meiner Hose auf und zog den Reißverschluss hinunter. Ich nahm ihren Kopf mit der jetzt wieder freien Hand, griff beherzt mitten in ihre Haare und drehte ihr Gesicht vehement in meine Richtung. Ihr Mund war fast an meiner Eichel. Ihre Angst wandelte sich in Entsetzen.

Dann wurde es schwarz vor meinen Augen. Als ich wieder zu mir kam, wurde ich in Handschellen eher schwebend als selbst gehend von zwei Polizisten abgeführt. Die Musik war aus, die Lichter hell.

Ich hatte ein seeliges Lächeln auf den Lippen. Mindestens zwei Leute, die heute abend auf dem Festival waren, würden nie wieder dreist in der Öffentlichkeit knutschen. Wahrscheinlich hatte ich in ihnen noch mehr zerstört.

 

Vor allem aber könnte ich Sarah auf ewig vorhalten, dass sie Schuld daran ist.

 

Das ist Gerechtigkeit!