Liebe Theaterschwestern und -brüder, Menschen der Bühne,

 

mit viel Interesse und noch viel mehr Unverständnis habe ich auf Facebook die Causa Holk Freytag verfolgt.

Ich habe gelesen, wie Ihr Euch im Rahmen des Euch Möglichen eingesetzt habt und förmlich emotional mit dem Ensemble von Bad Hersfeld auf die Barrikaden gegangen seid.

 

 

Mein Unverständnis bezog sich nicht darauf, dass man Solidarität zeigt mit jemandem, der ungerecht behandelt wird, denn das sollte man immer. Mein Unverständnis bezog sich darauf, dass man in diesem Fall das Schwert ergreift, wo doch in so vielen Fällen, wo in Theatern von oben nach unten gewütet wird, Stillschweigen herrscht.

 

Es hat quasi etwas Inzestuöses, wie unsere Branche der heiligen Bretter nach außen hin verschweigt, wie despotisch an Theatern von oben regiert, gemaßregelt und schikaniert wird. Allein in München gibt es (mindestens) zwei Theater, bei deren Personalpolitik selbst ein Louis Quatorze noch anerkennend die Perücke lüpfen dürfte.

 

Geht man jetzt einmal davon aus, dass das Wählerpotential in unseren Theatern eindeutig weit links angeordnet ist, mutet es doch äußerst eigenartig an, dass ein Intendant verteidigt wird, eine Maskenbildnerin, ein Inspizient, eine Regieassistentin, eine Souffleuse oder gar ein Schauspieler aber nicht. "Das Feudale verteidigen? Das Fussvolk fallen lassen?" könnte man büchneresk, plakativ und provokativ formulieren.

 

Für den Fakt, dass die Ungerechtigkeiten an Theatern nicht an die Öffentlichkeit gelangen, gibt es eine einfache Erklärung: wir wissen um den Zauber und die Mystik unserer Branche und wollen niemandem Außenstehenden erlauben, dies zu entzaubern oder gar darüber herzuziehen.

Das Theater ist somit wie ein siecher Mensch, der heimlich die Medizin nimmt, die nur die Symptome bekämpft, weil die Bekämpfung der Krankheit bedeuten würde, dass der Kranke sich offenbaren und ins Krankenhaus oder auf Kur müsste.

 

Der Grund dafür, warum im Fall Holk Freytag so massiv protestiert wurde, erscheint auch sehr einleuchtend, hat man ihn einmal gefunden. Auch dieser Grund hat mit "Außenstehenden" zu tun:

Im Fall Bad Hersfeld war es nämlich "die" gegen "uns". Der Magistrat der Kreisstadt, allesamt theaterfremde Bürgerliche (igitt-igitt), entmachtet einen von uns. Manch einer mag erbost aufschreien und einwenden, dass der Grund schlicht und einfach die Ungerechtigkeit war. Der Beweis: das gesamte Ensemble und zahlreiche Mitarbeiter begehrten auf. Also beschwichtige ich und sage, dass das löblich ist. und ich setze hinzu, dass ich mir wünschen würde, dass das auch einmal geschehen würde, wenn sich ein Intendant oder dessen Erfüllungsgehilfen aus persönlichen Gründen entschließen, jemandem die Lebensgrundlage zu entziehen, der in der Nahrungskette weiter unten steht, einem Hausregisseur, einem Souffleur, einem Maskenbildner oder einer Ausstattungsassistentin. 

 

(Manch Außenstehender mag jetzt einwenden, dafür gäbe es arbeitsrechtliche Regeln. Ich kann entgegnen, dass es die nicht gibt, das Theater kennt besondere Verträge.)

 

In solchen Fällen wird aber geschwiegen und- ich erlaube mir diese Polemik- die Verbleibenden ertränken ihre Fragen, die sie sich stellen müssten, und ihre Existenzängste oft im Alkohol.

Das macht Theatermenschen oft zu genau denselben devoten Arschkriechern, die wir in der freien Wirtschaft oft kritisieren und die uns in der Politik mit Zorn erfüllen.

 

 

Es verabschiedet sich mit einem heftigen Wink zum Nachdenken

und es grüßt Euch ein Theatermensch, der inzwischen das Glück hat, an einer Bühne zu arbeiten, an der man sich mit Wertschätzung begegnet, auf allen Ebenen