Eulen aller Länder, vereinigt Euch!


An was kann es liegen, dass noch keine politische Partei die Thematik des Chronotypus‘ in der Arbeitspolitik für sich entdeckt hat?

Denn sowohl Spiegel als auch SZ, um nur einige der renommierten Medien zu nennen, haben in den letzten Jahren den Chronotypus medial für sich entdeckt.

Zuletzt berichtete die Süddeutsche Zeitung, die in den letzten Jahren das Thema sogar ein wenig zu ihrem Steckenpferd machte, sogar noch differenzierter, es gäbe noch mehr Schlaftypen, siehe hier.



Um diese Diskussion ein wenig einzugrenzen und das politische Fass, welches ich jetzt aufmachen möchte, für jedermann überschaubar zu machen, möchte ich auf die zwei altbekannten Chronotypen eingehen, die von der Wissenschaft anerkannt sind: Eulen und Lerchen.

Um das Problem kurz anzureißen: Lerchen sind spätestens um sieben Uhr morgens nicht mehr im Bett festzuhalten, könnten aber um spätestens 21 Uhr keine Arbeitsleistung mehr erbringen; oder zumindest nur äußerst widerwillig bis höchst übel gelaunt.

Mit Eulen verhält es sich umgekehrt. Lass eine Eule um 12 Uhr mittags das Arbeiten anfangen und sie wird mit höchster Dankbarkeit bis in die tiefe Nacht arbeiten. Lass eine Eule um acht Uhr morgens anfangen und sie wird sich nicht über ihren Gemütszustand äußern, denn Mordphantasien sind nicht wirklich gesellschaftsfähig.

Unsere Gesellschaft setzt Früh aufstehen mit Leistungsfähigkeit gleich!

Um zu sehen, dass dies absoluter Bullshit ist- man verzeihe mir diese starke Wort-, muss man sich nur einmal um sieben Uhr morgens in die öffentlichen Verkehrsmittel einer Stadt setzen; zu keiner anderen Tageszeit sieht man mehr optisches Elend und mehr zutiefst frustrierte Gesichter.

Jeder mir bekannte Mensch, der mich ob meines vehementen Eintretens für „Eulenrechte“ anfänglich belächelte oder mit Häme überzog und diesen schönen ins Fleisch der Gesellschaft eingebrannten Satz „Das ist alles Gewöhnungssache“ vorbrachte, musste irgendwann eingestehen, dass es in seinem/ ihrem Umfeld auch Leute gibt, die man diesbezüglich nicht „korrigieren“ kann.


Ich gehe gerne einen Schritt weiter, und lasse auch Wissenschaftler für mich sprechen, die sagen, dass Schulbeginn um acht Uhr morgens für Schüler eine Qual ist, da die Leistungskurve als auch die Lernfahigkeit gegen Null tendiert, siehe hier.

Eine provokante These, aber vielleicht ist ein Schulbeginn um acht Uhr oder gar früher einer der Gründe, warum Deutschland bei „Pisa“ so schlecht abschneidet.

Ich gehe sogar noch weiter und sage, dass der Umstand des Lerchenfaschismus‘ in einigen Fällen sogar zum Drogenkonsum führt; sei es das Feierabendbier oder der Joint; die Eule, die sich um 22 Uhr zum Schlafen zwingen muss, weil sie um sechs Uhr aufstehen muss, weil sie ihre acht Stunden Schlaf braucht, vergewaltigt ihren Biorhythmus Tag für Tag, da erscheint es einfach logisch, sich künstlich „herunterzupegeln“, sich zu entschleunigen. In einer Zeit, in der Wellnessaspekte, Life-work-balance und gesunde Ernährung unser Leben und unsere Ansichten prägen, treten wir einen unserer besten Freunde mit Füßen: den Schlaf.


Dem Einwand, dass jede Arbeitsstruktur unheilvoll zerfranst würde, wenn man alte Konventionen über Bord würfe, kann ich nur bedingt zustimmen, im Fall von Fließband- oder Akkordarbeit ist eine freie Wahl des Arbeitsbeginns wohl schwer möglich. Und auch und vor allem in Schichtdiensten, in denen eine Anwesenheit rund um die Uhr essentiell ist, ist eine Wahlfreiheit nicht einzurichten, wird so mancher einwenden.

Aber ich verrate ihnen ein Geheimnis: da sich Lerchen und Eulen relativ gleichmäßig auf die Bevölkerung verteilen, dürfte eine Schichtverteilung nach Schlafpräferenzen alle glücklich machen.

Aber Dienste werden willkürlich verteilt und keiner zieht die rote Karte. Das unwidersprochene Lerchentum ist so tief in unserer Gesellschaft verankert wie der Konsens, dass Arbeit als solche wichtig ist für gesellschaftlichen Zusammenhalt und persönliche Zufriedenheit.

Unser Staat und auch viele Arbeitgeber scheinen Angst zu haben, dass ein Anerkennen des Chronotypus‘ und eine Liberalisierung der Zustände im Chaos mündet. Dabei kann die wirtschaftliche Ordnung nur profitieren.

In einem Zeitalter, in dem in sehr vielen Berufsfeldern alles auf Computern dokumentiert und archiviert wird und jede Information per Mail verschickt werden kann, ist eine angeordnete Anwesenheit      in solchen Branchen purer Faschismus in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes. Denn selbst extremste Lerchen und extremste Eulen fänden im Betrieb eine Schnittmenge von mindestens drei Stunden täglich, um sich auf den neusten Stand zu bringen.

Aber viele Lerchen haben naturgemäß kein Interesse an einer Auflockerung der Zustände, da ihnen dann ihr Vorteil flöten ginge, den sie als Ausgeschlafene tagtäglich gegenüber Eulen genießen und im Sinne des Sozialdarwinismus genüsslich ausleben, zelebrieren. „Man solle sich zusammenreißen.“ Und wir nehmen das hin.

Für mich hat dies denselben Gusto wie Menschen, die andere Menschen auf körperliche Unzulänglichkeiten hinweisen.

Aussehen, Körpermaße und Chronotypus sind genetisch prädisponiert, wir werden damit geboren.

Käme ein Mitmensch an und machte sich darüber lustig, dass ein anderer Mensch häßlich sei, „zu kurz geraten“ oder gar behindert, wir würden aufbegehren und dem Beschimpfenden entgegenhalten, er sei geschmacklos und primitiv; und wir würden die anderen Qualitäten herausstellen, die dem Beleidigten innewohnen.

Eine Eule zu sein heisst aber noch nicht einmal, andere Qualtäten suchen zu müssen. Wir sind tendenziell genauso leistungsfähig, nur zu anderen Tageszeiten, ab spätestens 20 Uhr arbeite ich jede Lerche „an die Wand“.

Ich denke, ich muss mich politisch engagieren. Mit den Wählerstimmen der Eulen sollte es aus dem Stand möglich sein, mindestens die Wahlresultate der SPD einzufahren. Aber bitte sagt es denen nicht, sonst kommen die noch auf die Idee, sich Themen zu widmen, die eigentlich in ihrem ureigenen Interesse liegen müssten. Obwohl diese Gefahr sehr gering ist, da dies seit spätestens 1982 nicht mehr geschah.


Dieses Thema ist somit sozial als auch liberal, aber weder FDP noch SPD haben ein Interesse daran. Dann muss ich wohl selbst ran...