Es war ein sehr warmer Frühsommersonntag, der erste wirklich warme Tag des Jahres, der kurze Hosen und am Nachmittag sogar das Entledigen des T-Shirts gestattete.

 

Ich schlenderte durch Schwabing und freute mich, dass ich trotz der sichtbaren Gentrifizierung dieses in den Siebzigern so wilden Statdteils dennoch so viele verschiedene Gestalten flanieren oder stolzieren sah; Stolzieren tun vor allem die pubertierenden oberlippenbeflaumten Möchtergern- Gangster, deren Gang aus dem McDonalds heraus anmutet, als hätten ihre Hoden den Durchmesser von Straußeneiern.

Auch diese meist viel zu laut kommunizierenden Spießgesellen vermochten meine Laune nicht zu trüben.

 

Am Wedekindplatz, einem bei schönem Wetter stark frequentierten Platz zum Entspannen (oder "zum Abhägen" wie die etwas jüngeren sagen würden oder "zum Chillen", wie die noch Jüngeren es nennen würden), stand ein sauber geputzter schwarzer Mittelklassewagen mit Warnblinkanlage und eingeschaltetem Blaulicht.

 

Nachdem der erste Schrecken, den ein solches Auto jedem normalen auf dem bayerischen Land aufgewachsenen Menschen traumagleich einjagt, verflogen war, dachte ich mir, dass das ein strategisch guter Platz sei, ein blaulichtgebendes Auto abzustellen, damit die Vollidioten, die trotz Straßenbelag aus Pflasterstein und viel fußgängerischem Leben immer noch meinen, durch diese Straßen mit 70 Stundenkilometer heizen zu müssen, etwas ausgebremst würden. Wir sollten alle in eher fußgängerlastigen Straßen ein solches Blaulicht schimmern lassen dürfen.

 

Die Freude währte allerdings nur kurz, so lange, bis mein Blick einige Meter nach links schweifte, denn dort sah ich den Grund des Anhaltens.

Es hatten sich tatsächlich fünf oder sechs Jugendliche mit teilweise bunten Haaren und zerrissenen Hosen angemaßt, auf dem Platz Bier aus Flaschen zu trinken. Skandal!

 

Wer bei dem Verein "Bayerische Polizei" immer noch nicht an Klonen glaubt, muss sich dann doch die Frage stellen, warum sich diese seit fast 50 Jahren immer noch auf dieselben Feindbilder konditionieren lässt.

 

Ein anderes Phänomen bei den Beamten in Zivil ist- auch wenn sie meinen, ein jugendlicheres Outfit an den Tag zu legen, was ihnen zumeist nicht gelingt- eine immer gänzlich spaßbefreite Mimik und ein aufgeplusterter Brustkorb.

Was mich an dem speziellen Bild hier aber am Meisten störte, war, dass der eine Beamte auch noch aussah wie ein Zuhälter. Schleimig gegelte Haare bei einem Kleine- Locken- werfenden Vokuhila, dazu Goldkettchen, auf die so mancher Lude auf der Reeperbahn neidich wäre; abgerundet wurde das Bild durch die schon seit 30 Jahren aus der Mode gekommenden Cowboystiefel, bei denen außerhalb des wilden Westens der Konsens besteht, dass sie nur in den seltensten Fällen mit einer modernen Weltanschauung einhergehen.

 

Ich ging ein wenig näher, denn ich wollte mir das dann doch genauer anschauen. Polizeiarbeit in der Öffentlichkeit sollte doch transparent und nachvollziehbar sein, dachte ich mir. Ich war noch mehr als drei Meter weg, da schalmeite es mir in waldschrat-sächsisch entgegen: "Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nüscht zu sehen."

 

Währenddessen trug der zweite Kollege in noch primitiverem- allerdings brandenburgischem- Ton einem der Jugendlichen folgenden Satz vor: "Jüngelchen, nicht frech werden, ob du hier zu dieser Tageszeit Bier trinken darfst, entscheiden immer noch wir." Diesem Satz wohnte so viel Abscheu inne, so viel Geringschätzung, dass es mich schüttelte und es mir kurz Magensaft als Reflux bescherte.

 

Jetzt war ich mir sicher! Die klonen ihre Leute!

 

Ich beobachtete den jungen Punk, dem er dies mitteilte. Der wirkte eher eingeschüchtert und sah nicht so aus, als hätte er vorher eine Aussage getätigt, die diese abfällige Bemerkung des Polizisten rechtfertigte.

 

Der jugendliche Punk klang auch sehr ängstlich, als er einwand: "aber aber ich bin doch schon 17"; sprach es und deutete auf seinen Ausweis, den der Polizist in der Hand hielt, "und meine Eltern haben mir erlaubt, hier abzuhängen und Bier zu trinken."

 

Punk als elterlich genehmigte Daseinsform, dachte ich mir, so weit ist es also schon gesellschaftlich gediehen, nur eben leider noch nicht bis zur Polizei vorgedrungen.

 

Der Polizist entriss ihm dennoch die Bierflasche.

 

Das machte mich wütend. Also entfernte ich mich zwei bis drei Meter von der Szenerie und wählte 110.

 

Es meldete sich eine sehr angenehme weibliche Stimme mit den Worten "Polizeinotruf, Grüß Gott!"

 

"Griaß Goot", erwiderte ich, und redete bewußt in leichtem Bayerisch weiter.

 

"Ich wollte Ihnen gern einen Diebstahl und eine Amtsanmaßung melden."

 

"Aha", entgegenete die Dame leicht ungläubig; und eher widerwillig setzte sie fort:

"Dann müsste ich bitte wissen: Was wurde denn gestohlen und vor allem wem?"

 

"Na ich hoffe, dass sie davon schon Meldung erlangt haben", antwortete ich absichtlich unwissend tuend, ein Poilizeiauto natürlich oder zumindest ein Blaulicht, und Polizeimarken. Also kommt auch noch Urkundenfälschung durch den Gebrauch derselben hinzu.

Die gestohlenen Gegenstände befinden sich genau vor mir.

 

"Nein, uns wurde kein Auto als gestohlen gemeldet... Wie kommen Sie da überhaupt drauf?"

 

Dass es in München falschen Polizisten gibt (True story!), stand letztens noch in der AZ.

Okay, zugegeben, die andere Möglichkleit wäre, dass diese zwei- ich nenne sie der Einfachheit halber Menschen- Polizisten sind. Dann haben diese Herren, besonders einer von ihnen, aber sämtliche Benimmkurse geschwänzt, oder der Herr ist in so primitiven Verhältnissen aufgewachsen, dass er keine Umgangstöne beherrscht. Und so jemanden möchte ich nicht als jemanden wissen, der 'mein Freund und Helfer' sein soll und vor allem nicht als jemanden, der eine Pistole trägt. Der Mann macht mir Angst!!!"

 

Die Dame stotterte kurz, atmete dann hörbar ein und sagte: "Sie wissen schon, dass diese Nummer nur gewählt werden draf, wenn Gefahr im Verzug ist."

 

"Aber es ist doch Gefahr im Verzug." erwiderte ich inbrünstig, "Da werden gerade Minderjährige psychisch von vermeintlichen Polizisten mißhandelt."

 

"Und wie kommen sie da drauf?" entfuhr es ihr, ihre Contenance schwindete langsam.

 

"Wenn man Menschen, die offensichtlich schon 16 sind, nicht nur den Bierkonsum verwehrt, sondern mit ihnen redet, als seien sie Tiere, kann es sich einfach nicht um Polizisten handeln.

Als ich meine Wehrpflicht absolviert habe, hatten wir in den ersten Wochen schon Lehrgänge zum Verhalten mit Uniform in der Öffentlichkeit, die aus einbleuten, dass man so nicht mit der Zivilbevölkerung redet.
Außerdem haben die einen sächsischen bzw. brandenburgischen Dialekt, was ich bei bayerischen Polizisten schon mal suspekt finde.

"Wir haben durchaus Kollegen aus den fünf neuen Bundesländern
. Man könnte meinen, Sie hätten Probleme mit Menschen aus dem Ostdeutschland," antwortete sie in einem Ton, der leicht triumphierend klang, als hätte sie bei mir eine menschlichen Abgrund entdeckt.

 

"Mitnichten", sagte ich ruhig, und präzisierte:
"
Ich habe ja nix dagegen, dass die bayerische Polizei Leute mit Migrationshintergrund anwirbt, aber dann sollten die Kollegen für München bitte aus Istanbul, Leipzig oder Berlin kommen, Städten! mit kultureller Vielseitigkeit! und nicht aus einem anatolischen Bergdorf, Käffern der märkischen Steppe oder aus der Einöde des Erzgebirges.

Die Beamten sollten sich der kulturellen Vielfältigkeit unserer Stadt schon anpassen können, und dazu gehört es eben auch, dass Jugendliche nachmittags auf Plätzen abhängen und eben Bier trinken, welches ja sogar laut bayerischer Verfassung ein Grundnahrungsmittel ist."

 

Bevor die Dame irgendetwas antworten konnte, setzte ich hinzu:

"Lange Rede, kurzer Sinn: ein Bürger sagt Ihnen, dass hier Gefahr im Verzug ist, da diese
Schikane zu weit geht und ich bitte- nein, ich ersuche- Sie, sofort einen richtigen Streifenwagen vorbei zu schicken."

 

Die Dame konnte nur noch "in Ordnung" sagen, wenn auch widerwillig.

"Ich verlasse mich auf Sie", sagte ich in einem Ton, der mir im Nachhinein etwas zu scharf vorkam, "in Schwabing, am Wedekindplatz, vielen Dank und auf Wiederhören."

Bei meinen letzten Worten hatte sie schon aufgelegt.

 

Die Jugendlichen waren gerade dabei, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen.

Es waren etliche Passanten hinzugekommen und beobachteten die Szenerie.

 

Ein Mann weit jenseits der sechzig rief: "Ja genau, sollen mal was arbeiten oder wenigstens lernen, die verlotterte Jugend." Ich ballte die Faust in der Tasche und verkniff mir die Bemerkung, dass ihm bewusst sein solle, dass 1945 lang vorbei ist.

 

Da ertönten schon Sirenen und ein zweiter Polizeiwagen, diesmal standesgemäß in blau und silber, kam und hielt ein paar Meter versetzt auf der anderen Straßenseite.

 

"Schön, dass die Dame ihren Job gemacht hat", dachte ich mir.

Ich wartete kurz, bis der eine der neu Hinzugekommenen den "Kollegen" scheinbar erläutert hatte, was vorgefallen war, und ging auf die vier Beamten zu,

 

"Ich hab übrigens angerufen!' rief ich und wedelte mit der Hand.

 

"Was erlauben Sie sich? Das ist Beamtenbeleidigung?" fragte mich der Ungehobeltste des Haufens, ohne einmal nachzufragen, wie ich dazu käme, den Notruf zu wählen.

Ich ging näher hin und freute mich auf das Gespräch. Um uns herum schlossen sich Passanten fast zu einem boxringgleichen Rechteck zusammen.

"Let's get ready to rumble", sagte ich halblaut, denn bei der Hybris und dem hochroten Kopf, den der Polizist, der übrigens auch optisch einem Neandertaler glich, schon hatte, wusste ich, wer hier als erstes die Contenance verlöre; und Zeugen hatte ich auch genug.

 

"Wieso Beamtenbeleidigung? Sie haben gerade mein Bürgerempfinden empfindlich verletzt; mein Bürgerempfinden dafür, wie man als Hoheitsträger mit der Zivilbevölkerung umzugehen hat. Von dem Nachwuchs hier geht keine Gefahr aus und Sie behandeln sie wie Schwerbverbrecher.

Und ja, ich bin dafür, dass solche zivilationsfernen Personen wie Sie in dem Umfeld wirken, welches Sie hervorgebracht hat und würde mir wünschen, dass Leute wie Sie in die kleinsten Käffer dieses Landes versetzt werden. Wäre das für Sie nicht auch schöner und besser? So unter ihresgleichen? Sie können doch mit einer Großstadt gar nicht umgehen!!!"

 

Fußnote: der Autor nimmt hier Abstand von der genaueren Definition von "Ihresgleichen" unter Verwendung von Tierbegriffen, man will sich doch keiner Beamtenbeleidung strafbar machen.

 

Doch was dann passierte, hätte ich in der Intensität einfach nicht erwartet. Der besagte Polizist stürmte mit erhobener Faust auf mich zu.
Einer seiner Kollegen, die aufgrund meines Anrufs eingetroffen waren, konnte in letzter Sekunde die Faust ergreifen und mit einem behänden Schwung den gesamten Arm nach hinten auf den Rücken wegdrehen. Bruce Lee wäre stolz gewesen.

Die Kollegen positionierten sich zwischen ihm und mir und geleiteten ihn dezent in einen Streifenwagen. Irgendjemand von den umstehenden Passanten bemerkte recht laut: "Setzt ihn besser hinten rein!"

 

Spätestens seit der Bemerkung wußte ich, dass ich meine Wahrnehmung mit mindestens einem der Umstehenden teile.


Bald kommt der Prozess, dann habe ich wieder was zum Schreiben. Vom Waldschrat habe ich inzwischen ein Schreiben bekommen, in dem er sich außergerichtlich einigen möchte. Er meine, eine Verurteilung könne ihn den Job kosten. Vielleicht ist es aber genau das, was ich erstrebenswert fände.
Wobei, ein suspendierter Polizist mit viel Kraft und viel Aggressionspotential ist bestimmt nicht ungefährlich: die Lösung ist also schwierig.

Man kann nur hoffen, dass sich diese Geschichte herumspricht bei den Uniformierten, auf dass sie endlich mal verstehen mögen, dass die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben umso mehr gutes Benehmen voraussetzt.

 

 

Und ich? Ich für meinen Teil erzähle diese Geschichte sehr gern.